Ein Tag in der Vesperkirche10:00 am MorgenDie Mitarbeitenden des Tages kommen in die Stadtkirche. Es ist warm. Die Tische, mit Kerzen und Blumen geschmückt, sehen freundlich und einladend aus. Auf dem Altar wird die große Vesperkirchenkerze angezündet. Die „Neuen“ stehen noch etwas ängstlich da, wissen nicht so recht, was sie erwartet. Wir beginnen mit einem Morgenlied und einem geistlichen Wort. Nach der Einstimmung auf den Tag folgt die Aufgabenverteilung: fünf Personen zur Essensausgabe, fünf an die Getränke-Kaffee-Kuchentheke, sechs zu den beidenSpülmaschinen, drei für die Kinderbetreuung, zehn zum Vesperrichten, zwei zur Betreuung des Toilettenwagens und zum Sauberhalten im Außenbereich, zehn zur Betreuung im Raum. 10.30 Uhr kommen die ersten GästeHansi meldet sich lautstark: „Da bin ich!“ Aber da er zu viel Alkohol intus hat, legt er sich erst mal auf den Boden zum Schlafen nieder. Und das ist gut so. Er kann nämlich auch sehr laut werden! Liebevoll wird er von einem Mitarbeiter zugedeckt. Dann kommt der stille Bärtige, der sich mit einer Tasse Kaffee und der Zeitung (wir haben Freiexemplare) malerisch an einem Tisch niederlässt. Die ältere Frau mit ihrer kleinen Rente und den großen Sorgen sucht sich jemanden, dem sie ihre Probleme erzählen kann. 11.00 Uhr. Das Essen wird angeliefertDer Duft breitet sich in der Kirche aus. Langsam füllt sich der Raum mit Gästen: Junge, Alte, Arbeitslose, Obdachlose, alleinerziehende Mütter, Migrantenfamilien, psychisch Belastete, Frauen und Männer und Kinder. 11.30 Uhr. Die Essensausgabe beginntLängst wissen alle, was es gibt, denn der Essensplan hängt an der Pinwand und wurde bereits eifrig studiert und besprochen. Heute gibt es Nudeln, Gulasch, Gemüse und zum Nachtisch noch ein Früchtejoghurt. Wer großen Hunger hat, darf nachholen. Das Essen kostet 1 Euro, aber die Kinder bekommen alles umsonst. 12.30 Uhr. Der Arzt ist gekommenMan kann mit ihm sprechen; er sieht sich Verletzungen und Entzündungen an, erneuert Verbände oder vermittelt eine Behandlung. Auch der Sozialarbeiter ist jetzt da und steht für Sozialberatung zur Verfügung. Der junge Mann in der Ecke sieht heute besonders traurig aus und wünscht ein Gespräch mit der Pfarrerin. Vor der Tür steht der große AschenbecherDie Raucher haben sich dort versammelt und die, die mal kurz Luft schnappen wollen. Eine Mitarbeiterin erzählt leise, dass sie schon lange aus der Kirche ausgetreten ist, – aber bei der Vesperkirche kann und will sie mitmachen. Das findet sie gut. Ein Mann mittleren Alters erzählt seine Drogen-, Kriminalitäts- und Knastkarriere. Er hat nun eine kleine Rente, trinkt mäßig Alkohol und träumt von Arbeit, die er nie mehr bekommen wird. | |
| Drinnen haben sich Spielgruppen zusammengefunden„Mensch-ärgere-dich-nicht“ ist das beliebteste Spiel. Die Kinder machen Hausaufgaben oder spielen auf den Altarstufen. Frau Isolde hat heute etwas zum Basteln vorbereitet. Eine junge Frau sagt, wie sie es genießt, einfach so am Tisch sitzen und sich unterhalten zu können. Sie hat sieben Kinder, für die sie alleine sorgen muss. Jetzt kommt Georg mit großem Hallo. Er packt seine Gitarre aus und fängt an zu singen. Er ist sehr musikalisch und hat eine hübsche Stimme. Aber er schafft nur noch eine Zeile seiner Lieder und weiß dann nicht mehr weiter. Der Alkohol hat schon viel zerstört. Er ist ganz ausgemergelt und hat Löcher in seinen Kleidern, die lange nicht mehr gewaschen wurden. |
14.00 Uhr. Die ersten gehenSie bekommen noch eine der begehrten Vespertüten für den Abend mit: ein Doppelbrot, gut belegt, ein Obst und eine kleine Süßigkeit. Andere sitzen gemütlich bei Kaffee und Kuchen und unterhalten sich. Mitarbeitende, die Zeit haben, sitzen dazwischen, hören zu, reden oder spielen mit. 15.00 Uhr. Die Bewirtschaftung wird eingestelltEs ist aber auch fast nichts mehr da. All die vielen süßen Stückchen, gespendet von Bäckereien, und all die selbstgebackenen Kuchen – kein Krümel bleibt übrig. Die tägliche Andacht beschließt den TagNun kommt die tägliche Andacht, die den Vesperkirchentag abschließt. Viele bleiben, genießen die Orgelmusik, singen gerne die geistlichen Lieder mit und hören das Evangelium für die Armen. Und wir Mitarbeitenden sind mit unseren Gästen zusammen eine Gemeinde geworden und haben etwas vom Reich Gottes gesehen.
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